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Erste Wahl war Vincent Kompany nicht als Trainer der Bayern, eine gute Wahl war er schon. Zuletzt hat er Kleinigkeiten verändert und damit großen Erfolg. Daran versucht sich auch Dortmunds Nuri Sahin. Nun treffen beide in der Fußball-Bundesliga aufeinander.
Vor einigen Jahren, als Vincent Kompany Verteidiger bei Manchester City war, aber oft verletzt, hat er ein betriebswirtschaftliches Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Mit Zahlen und Statistiken kennt er sich aus, auch Tabellen sind ihm nicht fremd. Heute ist Kompany kein Fußballer mehr, er arbeitet als Trainer. In dieser Funktion ist er kürzlich nach einer Tabelle gefragt worden, die seinen Arbeitgeber Bayern München betraf.
“Ich schaue nicht auf die Tabelle”, sagte Kompany. “Weil ich die Tabelle noch nicht verstehe.” Wie ernst er das meinte, blieb offen. Sicher war nur, um welche Tabelle es ging: um die der Champions League. An sie muss sich auch mancher Trainer noch gewöhnen.
Zur Erinnerung: Der Modus der Königsklasse ist seit dieser Saison ein anderer. Nach dem Sieg in Paris stehen die Bayern nach fünf von acht Spielen auf Platz 13. Achter müssten sie mindestens werden, um sich direkt für das Achtelfinale zu qualifizieren. Gerade trennt sie davon ein Punkt.
Mit der Tabelle der Champions League also möchte sich Kompany, 38, voerst nicht beschäftigen. Für die Tabelle der Bundesliga wird das kaum gelten. Am Samstag (30.11.2024, ab 18.30 Uhr live im Ticker und in der Radio-Reportage bei der Sportschau) tritt der FC Bayern bei Borussia Dortmund an. Es ist das Spitzenspiel des 12. Spieltags der Fußball-Bundesliga – auch wenn der BVB als Tabellenfünfter schon zehn Punkte hinter dem Rekordmeister liegt.
Alonso, Nagelsmann, Rangnick – irgendwas war immer
Begonnen hatte das mit Kompany und den Bayern vor einigen Monaten, als die Verantwortlichen dort einen neuen Trainer suchten. Sie warben auch um Xabi Alonso und Julian Nagelsmann, sie verhandelten mit Ralf Rangnick – aber irgendwas war immer. Alonso blieb in Leverkusen, Nagelsmann beim DFB, Rangnick ist noch immer Nationaltrainer Österreichs.
Als der Klub Ende Mai stattdessen Kompany als neuen Trainer präsentierte, war das eine Überraschung. Kompany hatte beim FC Burnley ansehnlichen Fußball spielen lassen, das schon, doch auf den Aufstieg in die Premier League folgte ein Jahr später der Abstieg. Zuvor hatte er zwei Spielzeiten den RSC Anderlecht trainiert. So wird man eigentlich nicht unbedingt Trainer in München.
Ihre Entscheidung für Kompany aber werden sie bei den Bayern nicht bereut haben. Aus den ersten elf Ligaspielen haben sie gemeinsam 29 von möglichen 33 Punkten geholt. Kompany ist nun einer von nur vier Trainern in der Bundesliga-Historie, der von seinen ersten elf Spielen keins verloren hat. Der Konkurrenz ist seine Mannschaft deshalb enteilt: Der Vorsprung auf Eintracht Frankfurt auf Rang zwei beträgt sechs Punkte, RB Leipzig hat acht Punkte weniger und Leverkusen neun.
Drei Spiele, die zu einem Umdenken führten
Dafür gibt es Gründe. Frankfurt hat eine talentierte Mannschaft, aber eine Spitzenmannschaft ist die Eintracht nicht. Noch nicht. Leipzig war mal eine Spitzenmannschaft, aber gerade ist an den Auftritten wenig spitze. In Leverkusen spielen sie nicht mehr so meisterlich, in Dortmund nur dann gut, wenn sie dafür nicht reisen müssen. Auch davon profitieren sie in München.
Und die Fußballer der Bayern profitieren offensichtlich von der Arbeit des Trainers Kompany. In den ersten Wochen ließ er mitreißenden Fußball spielen. Seine Spieler schickte er früh ins Pressing, oft unterbanden sie den Spielaufbau des Gegners erfolgreich. So spielten sie sich Chancen heraus und erzielten Tore. “Kompanyball”, so nannte mancher das.
Nur hatte dieser “Kompanyball” auch Schwächen. Etwa, wenn selbst die Innenverteidiger regelmäßig weit in der Spielhälfte des Gegners auftauchten. Eine Unachtsamkeit, ein Ballverlust – und Manuel Neuer im Tor der Bayern sah vor sich manchmal mehr gegnerische Fußballer als eigene Verteidiger. Auch deshalb verlor der Klub im Oktober in der Champions League erst gegen Aston Villa, dann gegen den FC Barcelona. Und zwischendrin, beim 3:3 gegen Frankfurt in der Liga, war eine Niederlage auch möglich.
Pech für die Konkurrenz – die Bayern können es auch mit weniger Risiko
In München spielen sie immer noch “Kompanyball”, nur eben mit weniger Risiko. Die wichtigste Änderung: Die Innenverteidiger Dayot Upamecano und Min-jae Kim positionieren sich nun einige Meter tiefer. So haben sie nach Ballverlusten mehr Zeit, um sich auf Angriffe des Gegners vorzubereiten. Und die Offensivspieler gehen nicht mehr pausenlos schon im Strafraum des Gegners ins Pressing.
Es waren minimalinvasive Eingriffe des Taktikers Kompany, vollzogen mit der Präzision eines Chirurgen. Seitdem haben die Bayern sechs Spiele absolviert und immer gewonnen. Sie haben 17 Tore erzielt, aber keins kassiert.
“Werden auch gegen die Bayern gewinnen”
In Dortmund haben sie das natürlich beobachtet – und doch sind sie dort zuversichtlich, wenn es um das Spitzenspiel geht. “Wir werden auch gegen die Bayern gewinnen”, sagte der Sportchef Lars Ricken. Beim BVB heißt der Trainer seit diesem Sommer Nuri Sahin, einst Spieler in Dortmund und zuletzt dort Assistent von Edin Terzic.
Sahin, 36, war in Dortmund der Wunschkandidat, obwohl in seinem Lebenlauf als Trainer nur zwei Jahre bei Antalyaspor stehen. Aber Sahin, da waren sie sich einig, könne gelingen, woran seit dem Abschied von Jürgen Klopp so viele Trainer gescheitert waren: aus talentierten Fußballern eine Mannschaft formen, die keinen Anlass mehr biete, über ihre Leistungen zu diskutieren.
Auch Dortmunds Sahin zog die richtigen Schlüsse
Von 18 Pflichtspielen unter Sahin hat Dortmund sechs verloren, immer auswärts. Auch deshalb ist der BVB in der Liga nur Fünfter. Und im DFB-Pokal schon in der 2. Runde ausgeschieden. Immerhin: In der Heimtabelle der Fußball-Bundesliga steht der Klub ganz oben. Vor dem Spiel gegen die Bayern ist das keine schlechte Nachricht. Gespielt wird in Dortmund.
Hoffnung machte zuletzt auch das Wirken des Trainers Sahin. Nachdem seine Mannschaft im Oktober vier von sechs Spielen verloren hatte, passte Sahin die Taktik an. Aus einem 4-2-3-1 wurde ein 4-3-3, noch so ein minimalinvasiver Eingriff, auch hier ausgeführt mit der Präzision eines Chirurgen.
Seitdem wirkt das Mittelfeld ausbalancierter, was auch an der Hereinnahme von “Sechser” Felix Nmecha und “Achter” Marcel Sabitzer liegt. Neben Sabitzer spielte zuletzt Julian Brandt. Er sagte dem “kicker”: “Du hast in diesem System viel mehr gebildete Dreiecke und viel mehr Diagonalen.” Es scheint, als habe auch Sahin für den Moment die richtigen Schlüsse gezogen.
Das Spitzenspiel gegen den FC Bayern könnte zeigen, wie nachhaltig diese Entwicklung ist. Einen ersten Rückschlag aber muss der Trainer schon vor dem Anpfiff fürchten: Spielmacher Brandt, 28, hat Oberschenkel, sein Einsatz ist gefährdet. “Ich denke, dass es eng wird”, sagte Sahin. Noch aber hoffe er. “Er ist für uns beinahe unersetzlich.”